NEWSLETTER #149 vom 04.06.08
Von thofi, 22:44Ist doch alles nur Theater, was sich da im Internet abspielt. Was aber, wenn ein Theater das wörtlich nimmt? Theater ist doch diese altmodische Kunstform, wo vorne ein paar verkleidete Leute etwas auswendig aufsagen, und hinten im Dunkeln mehrere Reihen Geriatriker sitzen, die 2 Stunden am Stück ohne Werbeunterbrechung und ohne Wegzappen zu können, ausharren müssen.
Internet dagegen heißt heute selber machen, mitmachen, kommentieren und Rückkanal, kumuliert in dem Führen eines eigenen Blog/Homepage. Internetsurfer können mit einem Theatersaal so viel anfangen wie ein Fisch mit einem Fahrrad.
Wenn man erleben will, was passiert, wenn ein Theater beides will, die Theatergänger behalten und die dem Internet Verschriebene dazu zu gewinnen, d.h. den beengten Zuschauerraum virtuell zu erweitern, dann muss man nach Graz ins Schauspielhaus gehen, oder auf www.blogtheatre.net klicken.
Dort ging gerade das „Blog das Theater“-Festival zuende, als krönender Abschluss eines einjährigen Projekts. Theatergeeignete Blogs wurden in 5 Ländern aufgespürt, die besten in Wettbewerben selektiert, in Stücke gefasst und 14 der allerbesten als Uraufführungen in halbstündigen Inszenierungen während des Festivals auf die Bühne in Graz gebracht. Parallel dazu waren alle Aufführungen live gestreamt, teilweise vom ORF, im Internet zu sehen und sind dort noch immer on demand herunterzuladen.
1500 Zuschauer in den drei Theatersälen, aber rund 9000 Leute, die dem Festival im Internet gefolgt sind, zeigen, Theater 2.0 kann funktionieren.
Theater ist unverzichtbar, gerade für junge Menschen, die dort erleben können, dass ihre individuell erscheinenden Probleme typisch menschliche sind, die die Leute seit Jahrhunderten bewegen, und sie schon immer um menschenwürdige Lösungen gerungen haben. Die Jugendlichen erfahren, dass es verschiedene Zugänge zu der Welt gibt, bekommen andere Sichtweisen auf das Bekannte, Vertraute, und vielleicht erscheint ihnen dann der fremdländische Mitschüler gar nicht mehr als so fremd. Die Jugendlichen erfahren im Theater, dass nur draufhauen, stechen und schlagen zwar immer schon praktiziert wurde, aber selten zu einem guten Ende führt und dass es Verhaltensalternativen bei Konflikten gibt, wenn man nur gelernt hat, auch mal die Perspektive zu wechseln.
Also muss das Theater dorthin gehen, wo diese jungen Menschen ohnehin den größten Teil ihrer Freizeit verbringen, im Internet, um sie zu erreichen. Das erste Blogtheaterfestival seiner Art in Graz hat gezeigt, dass es funktionieren kann, und das macht Mut, meint euer thofi
GLOSSE:
Nun halten Sie sich aber mal zurück mit Ihrer Schadenfreude. Das hätte Ihnen doch auch passieren können. Gerade die Jahresbilanz auf der Festplatte sicher abgespeichert, erleichtert, aber ungeschickt zur Wasserflasche gegriffen, nur um dann mit ungläubigem Staunen zu sehen, wie sich der Inhalt zischend und qualmend von der Tastatur erfolgreich auf die Festplattenelektronik vorkämpft - das war´s dann mit der Arbeit von Wochen. |